Kardinal Paul Shan (單國璽)feiert ein silbernes und ein goldenes Jubiläum.
Nach seiner Rückkehr vom Vatikan wurde Kardinal Paul Shan im südtaiwanischen Kaohsiung von seinen Schäfchen abgefangen, und man bedeutete ihm, ihnen zu folgen. Er war einen Monat lang fort gewesen, und nun war es höchste Zeit, das goldene Jubiläum seiner Priesterweihe und sein silbernes Jubiläum als Bischof zu feiern.
Am 28. Mai dieses Jahres wurde Shan mit einer Messe in der Kirche des Heiligen Rosenkranzes in Kaohsiung geehrt. Der Ort war ein Meer von tropischen Blumen und gesteckt voll mit besonderen Gästen, Novizen, Priestern, Bischöfen im vollen Ornat und Laien. Über ihnen sang ein Chor wie mit Engelsstimmen.
Shan war im Jahre 1923 in der festlandchinesischen Provinz Hebei zur Welt gekommen und trat 1946 der Gesellschaft Jesu (also dem Jesuitenorden) bei. Nach 1949 wurde er an jesuitischen Institutionen auf den Philippinen ausgebildet und am 18. März 1955 zum Priester geweiht. 1961 erwarb er einen Doktortitel in spiritueller Theologie an der Päpstlichen Gregorianischen Universität in Rom. Damals mussten Theologiestudenten erst das Lateinische beherrschen, bevor sie Theologie oder Philosophie studieren durften. Shan kann die Sprache fließend und spricht außerdem Englisch, Italienisch und Spanisch, lernte aber nie den taiwanischen Dialekt.
"Ich kam erst recht spät nach Taiwan, als ich 40 Jahre alt war, und die Oberen sagten mir, dass ich für meine Arbeit kein Taiwanisch bräuchte", erinnert sich Shan. "Ich unterrichtete junge Jesuiten, die alle Mandarin-Chinesisch gelernt hatten. Dann wurde ich Rektor einer Oberschule in Taipeh, und damals war die Verwendung von Mandarin bei Schülern obligatorisch." Der Akzent seiner englischen Sprache stellt eine geistige Verbindung zwischen den Philippinen, China und Europa her, was sowohl überrascht als auch angenehm klingt.
Als Shan 1979 zum Bischof von Hualien im Osten Taiwans ernannt wurde, wollte er Taiwanisch lernen, doch weil über 90 Prozent der Hualien-Diözese aus Ureinwohnern besteht, wurde nichts daraus. Als er erwog, eine der Ureinwohnersprachen zu lernen, hatte er die Qual der Wahl: In seiner Diözese lebten acht Stämme mit acht verschiedenen Sprachen. "Zuerst wollte ich eine davon lernen, doch als die Leute das hörten, bat mich jeder Stamm, dass ich seine Sprache lernen sollte, und es war unmöglich, alle diese Sprachen zu lernen", meint Shan mit einem leichten Lächeln im Mundwinkel. "Wenn man eine der Sprachen lernt, ist man sehr stark mit diesem Stamm verbunden."
Von den heute 300 000 Katholiken Taiwans sind rund ein Drittel Ureinwohner. Begonnen hatte die Geschichte der Kirche in Taiwan im Jahre 1626, als spanische katholische Missionare im nordtaiwanischen Danshuei einen Stützpunkt einrichteten. Folgende Kolonialregierungen hatten unterschiedliche, manchmal feindselige Einstellungen gegenüber religiösen Gruppen. Das bedeutete, dass Kirchenvertreter weder soziale Dienstleistungen bieten noch wirksam den Glauben verbreiten konnten. Nach dem Ende des chinesischen Bürgerkrieges (1945-1949) hieß die nationalistische KMT-Regierung Priester, die vor dem atheistischen kommunistischen Regime auf dem Festland geflohen waren, auf Taiwan willkommen. In den fünfziger Jahren gab es auf der Insel nicht ausreichend medizinische Einrichtungen und Bildungsinstitutionen, daher reagierte die Kirche, indem sie ihre Anstrengungen auf diese Bereiche konzentrierte. "Wir haben viele Schulen gegründet -- drei Universitäten, 27 Oberschulen, 10 Berufsschulen und 10 Grundschulen", zählt Shan auf. "Insgesamt haben wir etwas über 50 Schulen in Taiwan."
Von 1970 bis 1976 war Shan Rektor der St. Ignatius-Oberschule in Taipeh, anschließend diente er von 1976 bis 1979 als Direktor des Kuangchi-Programmdienstes, eines katholischen Medienunternehmens. Kuangchis Mission besteht darin, "hochwertige audio-visuelle Programme und Mediendienstleistungen zu produzieren, um die Wertschätzung für den Sinn und die Qualität des Lebens zu erhöhen". Der Programmdienst war in Taiwan ein Vorreiter bei der Farbfernseh-Programmproduktion, strahlte seine Programme über Taiwans drei per Antenne zu empfangende Kanäle aus und bot Schulungskurse für TV-Produktion in ganz Asien. Während Shans Amtszeit als Präsident gewann Kuangchi nationale Preise für den besten Dokumentarfilm, die beste Religions-Dramaserie und besonders wertvolle Programme.
Als Bischof von Hualien leistete der unermüdliche Shan auch eine Menge Arbeit für den Verband der Asiatischen Bischofskonferenz und die Chinesische Regional-Bischofskonferenz (Chinese Regional Bishops' Conference, CRBC) und wurde drei Mal in Folge zum Präsidenten der CRBC gewählt. Als Shan 1991 zur Diözese Kaohsiung versetzt und dort als Bischof etabliert wurde, ernannte Papst Johannes Paul II. einen jungen taiwanischen Priester zu seinem Hilfsbischof (Koadjutor).
Seine Beförderung zum Kardinal von Taiwan im Februar 1998 durch Papst Johannes Paul II. machte Shan zur höchsten katholischen Autorität des Landes, und er berief einen jungen Ureinwohnerpriester als seinen Generalvikar. Im Jahr 2000 wurden 120 chinesische Märtyrer kanonisiert, und der Kardinal war erfreut, da er schon als Kind dafür gebetet hatte. Seiner Ansicht nach sind Heilige sehr wichtig in der Kirche, und die Kanonisierung stellt für die Katholiken in China und Taiwan eine große Ermutigung dar. Andere asiatische Länder haben alle ihre eigenen Heiligen, obwohl die Kirche in China früher aufgebaut worden war.

An der Spitze der Prozession verströmt aus einem silbernen Weihrauchgefäß feierlicher Duft.
Als Mitglied des Kardinalskollegiums hielt sich Shan nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. im Vatikan auf, konnte jedoch nicht an der Wahl des neuen Papstes teilnehmen, da Kardinale älter als 80 Jahre kein Wahlrecht mehr haben.
Seine Position als Führer der Kirche in Taiwan bedeutet, dass Shan sich wegen des Todes des Papstes mit den Medien auseinander setzen musste. "Geduld und Erklärung sind die Schlüssel [für die Bewältigung der Aufgabe]", erklärt er. "Das ist nichts Neues."
Seit Staatspräsident Chen Shui-bian im April zum Vatikan flog, um an der Beisetzung des Papstes teilzunehmen, wird viel über den Zustand der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und Taiwan spekuliert. Die Beziehungen werden oft fälschlicherweise als rein politisch dargestellt, und als Gerüchte auftauchten, dass Rom China anstatt Taiwan diplomatisch anerkennen werde, schenkten die taiwanischen Medien dem Thema übertrieben viel Aufmerksamkeit.
Als Beijing schließlich dem Heiligen Stuhl zum Hinscheiden des Oberhirten kondolierte, bekräftigten die Kommunisten zwei Vorbedingungen, auf denen sie gegenüber dem Vatikan für den Aufbau diplomatischer Beziehungen bestehen würden -- erstens die diplomatischen Beziehungen mit Taiwan abzubrechen und zweitens auf das Recht zu verzichten, Mitglieder der Kirche in China zu ernennen, weil das als "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" betrachtet werde.
"Wenn man sich die diplomatischen Beziehungen des Heiligen Stuhls ansieht, so muss man das von der religiösen Perspektive aus [tun], um das Wesentliche zu erfassen", versichert Shan. Die zweite Bedingung der Chinesen rührt an zwei Kernpunkte des römisch-katholischen Glaubens -- die Kommunion oder Einheit der Kirche und die Oberhoheit des Heiligen Stuhls über die Kommunion. In allen Ländern, mit denen der Vatikan diplomatische Beziehungen unterhält, behält der Heilige Stuhl sich das Recht vor, Mitglieder der Kirche wie Bischöfe und Kardinäle zu ernennen. Die grundlegende Bedeutung dieses Rechts besteht darin, dass weltliche und geistige Vollmachten voneinander getrennt sind und einander ausschließen, dass Staaten die Kontrolle über die zivilen, wirtschaftlichen und politischen Rechte ihrer Bürger ausüben, während die Kirche sie über das spirituelle Leben ihrer Mitglieder innehat. Das totalitäre Regime in Beijing dagegen beansprucht auch die spirituelle Kontrolle über seine Bürger und betrachtet die päpstliche Oberhoheit über die chinesischen Gläubigen als Beleidigung seiner Souveränität.
Im Jahre 1957 gründete die chinesische Regierung den Katholischen Patriotenverband (Catholic Patriotic Association, CPA), um die hierarchische Position des Papstes an der Spitze der Bischofskonferenz -- dem Gremium, das dem Nationalen Katholischen Rat vorsteht und aus Priestern, Nonnen und Laien besteht -- zu ersetzen.
Die Wirkung dieser Veränderung in der Kirchenorganisation war verheerend: "Wenn sie die Verbindung mit dem Heiligen Stuhl unterbechen, die Kommunion, die Einheit mit der Gesamtkirche, worin besteht dann der Unterschied zwischen einer unabhängigen katholischen Kirche in China und der anglikanischen Kirche oder irgendeiner protestantischen Kirche?" fragt Shan. Der CPA beraubt daher die römisch-katholische Kirche ihrer Einheit, des in seinem Namen angezeigten Katholizismus. (Der Begriff "katholisch" kommt vom griechischen Wort katholikos und bedeutet "das Ganze betreffend", "allgemein gültig". Red.)
Außerhalb Taiwans verbreiten internationale Medienberichte die Überzeugung, dass der neue Papst Benedikt XVI. die Position der Kirche in einigen Punkten wie etwa Empfängnisverhütung und Aids ändern werde, als wäre er der neu gewählte Führer einer Demokratie mit einer Reformplattform im Schlepptau. Im Hinblick auf diese kurzsichtige politische Sichtweise meint Shan: "Der Heilige Stuhl wird einen neuen Papst, noch einen neuen Papst und den Wechsel im Pontifikat erleben, aber meiner Ansicht nach haben alle Päpste die gleiche Linie, es gibt eine Kontinuität. Die Glaubensdoktrin wird sich nicht ändern, nur weil es einen neuen Papst gibt."
Shan rückt sich seine lange traditionelle chinesische Kutte zurecht, berührt das große Kruzifix und spricht nicht weiter über Ansichten, die nur für die Mitglieder einer 2000 Jahre alten Institution gedacht sind, sondern wendet sich nun seinem eigenen fortgeschrittenen Alter zu. "Als neu geweihter Priester nahm ich die Devise an, 'ich will wie ein guter Soldat im Dienst von Jesus Christus arbeiten'", erzählt er. "Ich war jung, voller Energie und fühlte mich wie ein Soldat. Nun werde ich älter und komme Gott näher, und ich habe mein Motto geändert: 'Ich will in alle Ewigkeit von Gottes Gnade singen'."
Während er durch den Mittelgang der Kirche schreitet, schwingt ein junger Novize einen silbernen Weihrauchbehälter in einem weiten Bogen aus Duft und Rauch. Lächelnde Gesichter begrüßen die Prozession, und der Geehrte grüßt sie seinerseits mit einem breiten Lächeln. "Der Zweck der heutigen Feier ist, Gott für den Segen und die Huld zu danken, die ich während meiner 50 Jahre als Priester und 25 Jahre als Bischof mit einigen meiner guten Freunde erhalten habe", verkündet Shan. Während die Kommunisten in China diesen bescheidenen Kirchenprinzen als eine Bedrohung für ihre Souveränität betrachten, sieht die Diözese Kaohsiung in ihm ohne Zweifel einen Partner des guten Glaubens.
(Deutsch von Tilman Aretz)